Differenz als Chance

Der Berater Michael Stuber sieht in Erasmus+ einen Türöffner für gesellschaftliche Entwicklungen
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Text: Die Fragen stellte Susanne Reich

Es war in seiner Studentenzeit an der wirtschaftlichen Fakultät der Universität Karlsruhe Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre, dass Michael Stuber in Berührung mit dem noch in den Anfängen stehenden Erasmus-Programm kam. Unter anderem baute er das Erasmus-Netzwerk für die Fakultät erfolgreich auf. Im Gespräch mit dem DAADeuroletter erinnert sich Stuber an diese Zeit «des langsamen Aufbruchs», vor allem aber teilt er seine Meinung zur Wirkung von Erasmus hinsichtlich Diversität und Inklusion, jenem Bereich, in dem er seit fast 3 Jahrzehnten als selbstständiger Berater tätig ist.

© A. Viering

Michael Stuber ist seit 1997 auf dem Gebiet der europäischen Diversityforschung und -praxis aktiv. Zuvor hatte er die paneuropäische Studierendenorganisation AEGEE und den Erasmus-Austausch an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Karlsruhe mit aufgebaut.

© KIT

Das neue Gebäude der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät (WiWi) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), das 2009 als Zusammenschluss der Universität Karlsruhe mit dem Forschungszentrum Karlsruhe entstand.

Herr Stuber, Diversität und Inklusion ist eine der 4 Prioritäten der seit 2021 laufenden Programmgeneration von Erasmus+. Welche Bedeutung messen Sie dem Programm auf diesem zunehmend wichtigen Gebiet zu?

Michael Stuber: Was man im aktuellen Erasmus-Programm sieht, ist der typische Zugang zu Diversität und Inklusion, dass also jener Teil des Themengebiets berücksichtigt worden ist, der Fragen der Repräsentanz und der Benachteiligung betrifft. Das ist ein Zugang, den man heute auch in vielen Unternehmen sieht, wenn es um Quoten geht oder um die Frage, wie bestimmte als benachteiligt erachtete Personengruppen eingebunden werden können.

Wie schätzen Sie aufgrund Ihrer langjährigen Erfahrung im Bereich «Diversität» diesen Zugang ein?

Es ist ein Anfang, auch ein guter Anfang, um bessere Zugänglichkeit und mehr sichtbare Vielfalt zu schaffen. Diversität und Inklusion können jedoch viel mehr für Erasmus tun, was das Programm dann seinerseits für die Herausbildung von Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaftsmanagerinnen und -manager oder künftigen Politikerinnen und Politikern leisten kann.

Differenz an sich ist noch kein Mehrwert. Es ist wird nicht dadurch alles besser, dass man mehr Vielfalt hat, sondern dadurch, dass wir alle lernen, mit dieser Vielfalt besser umzugehen, eine positive Einstellung dazu zu haben und uns auch mit Differenzen produktiv, konstruktiv, friedvoll auseinandersetzen zu können. Und dieser Teil sollte bei Erasmus+ tatsächlich noch viel stärker im Fokus stehen, wie im Übrigen auch oftmals in den Hochschulausbildungen.

Solange wir vermitteln – und sei es auch nur durch die Programmarchitektur –, dass Differenz etwas ist, was ein Defizit kreiert und ausgeglichen werden muss, solange haben wir im System noch einen Baustein, der uns daran hindert, Differenz als Chance zu sehen. Das sollte unser Ziel sein.

Veränderungen von Überzeugungen als Folge des Auslandsaufenthaltes

Angaben in Prozent, N = 19.068,

Quelle: Vorabpräsenation Erasmus+ Nachbefragung […], NA DAAD 2024 (vorläufige Ergebnisse), Folie 18 

Wie könnte Erasmus weiterentwickelt werden?

Eine erste Entwicklungsmöglichkeit auch für eine nächste Generation von Erasmus wäre, mehr Wertebildung einzubauen. Menschen sollten dabei unterstützt werden, über Vielfalt zu reflektieren und in einem neuen Kontext für sich persönlich was zu lernen. Das könnte zum Beispiel über interdisziplinäre Formate geschehen.

Zudem – und das ist ein weiterer Punkt – fehlt mir momentan ebenso ein bisschen das Europa-Branding. Es müsste ein Schwerpunkt darauf gelegt werden, die gemeinsame europäische Identität zu stärken, Europa als Wertesystem und wichtigen Stabilitätsfaktor in der globalisierten Welt zu verstehen.

Schließlich sollten im Rahmen von Erasmus vermehrt Brücken gebaut werden in interdisziplinäre und gesellschaftliche Kontexte. So könnte es für Austauschstudierende beispielsweise Kurse oder andere Formate geben, über die intensive Kontakte mit der Mainstream-Gesellschaft im jeweiligen Gastland hergestellt werden.

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Lassen Sie uns zum Schluss einen Blick auf die Wirkungen werfen, die Erasmus auf viele Generationen von Studierenden hatte und hat. Was ist aus Ihrer Sicht besonders bedeutsam?

Die Möglichkeit der Auslandserfahrung, die persönliche Weiterentwicklung in einem interkulturellen Kontext, das heißt des eigenen Horizonts, der eigenen Erlebnisbandbreite, aber auch der eigenen Fähigkeiten im Umgang mit Differenz, wie auch das Erlernen einer oder gar mehrerer Sprachen sind auf jeden Fall die herausragenden Aspekte. Ende der 1980er und Anfang der 1990er, als Erasmus gerade die ersten Schritte unternahm, war nicht absehbar, dass das Programm so vielen Millionen von Menschen all das ermöglichen und sie auf diese Art und Weise mitprägen würde. Das ist beeindruckend, vor allem ja deshalb, da die EU seither so stark gewachsen ist.

Erasmus hat außerdem zu einer Demokratisierung des Wissenschaftsaustauschs geführt. War es früher, also in der Vor-Erasmus-Zeit, den Eliten der Forschenden vorbehalten, ins Ausland zu gehen, eröffnete Erasmus diese Option breiteren Schichten. Auch in dieser Hinsicht ist viel passiert, und das ist definitiv großartig.

Michael Stuber ist mit Erasmus+ seit Ende der 1980er Jahre eng verbunden.