3 Fragen an den Erasmus-Alumnus Patrick Cramer

Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft im Kurzinterview
Lesezeit: 6 min

Herr Professor Cramer, in Ihrer Antrittsrede als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft haben Sie den Wert weltweiter Verbindungen für die Wissenschaft hervorgehoben, auch weil Brücken entstehen, die die Zeitgeschichte überdauern. Inwiefern haben Ihre Erfahrungen als Erasmus-Stipendiat an der University of Bristol im Vereinigten Königreich diese Einschätzung mitgeprägt?

Professor Patrick Cramer: In sehr großem Umfang. Als ich 1992 in Bristol mit meinem Rucksack ankam, gab es Grenzkontrollen und Zoll. Als ich nach meiner Weihnachtspause im Januar 1993 in Deutschland wieder nach England zurückfuhr, war alles anders. Das Maastricht-Abkommen war am 1. Januar 1993 in Kraft getreten. Ich wurde damals von einem britischen Fernsehsender interviewt – die VHS-Kassette habe ich noch – und gefragt, wie die Situation in Europa sei, das heißt, man fühlte sich auf der Insel einfach nicht als Teil Europas. 

Dann trat eine sehr positive Entwicklung ein, das Vereinigte Königreich war Teil der EU, vieles wurde einfacher. Dass es fast 3 Jahrzehnte später zum Brexit kam, hat mich sehr traurig gemacht, da ich mich seither den Menschen auf der Insel sehr verbunden fühle und auch jedes Jahr mindestens einmal dorthin fahre, um Kollegen zu besuchen und Vorträge zu halten. 

Das macht Erasmus: Es eröffnet jungen Menschen eine neue Welt, ein Verständnis für andere Gesellschaften, Länder, Kulturen. Diese Erfahrungen begleiten einen das Leben lang. Sie bauen Vorurteile ab, erweitern den Horizont und bauen Brücken. Meine große Sorge ist, dass das, was erreicht wurde, innerhalb einer Generation gefährdet wird, wenn es weniger Austausch von Studierenden (und Schülerinnen und Schülern) gibt. Die Menschen, die auf der Welt Wissenschaft betreiben, müssen in Kontakt bleiben, auch wenn die Zeiten schwer sind. Denn wenn neue Zeiten anbrechen, dann stehen wir bereit als Brückenbauer.

Erasmus eröffnet jungen Menschen eine neue Welt, ein Verständnis für andere Gesellschaften, Länder, Kulturen. Diese Erfahrungen begleiten einen das Leben lang. Sie bauen Vorurteile ab, erweitern den Horizont und bauen Brücken. 
Patrick Cramer
Der Eingang zur Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft in der Münchener Hofgartenstraße. Links ist der Kopf der Minerva im Profil zu sehen.
Der Eingang zur Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft in der Münchener Hofgartenstraße. Links ist der Kopf der Minerva im Profil zu sehen 
© Max-Planck-Gesellschaft

Sie waren mit Ihrer Familie als Postdoktorand an der Stanford University in Kalifornien und haben dabei selbst erfahren, wie schnell ein Auslandsaufenthalt auch finanziell zu einer Herausforderung werden kann. Was sollten Stipendien leisten, um Wissenschaftsnachwuchs internationale Erfahrungen zu ermöglichen?

Die Sorge war damals, dass sich der Kurs des Dollar schnell zu meinen Ungunsten änderte und mein deutsches Stipendium erst viel später angepasst wurde, das heißt, meine junge Familie stand plötzlich mit wenig Geld da und wir hatten Probleme, unsere Miete zu bezahlen, die im Silicon Valley damals – vor dem Kollaps der «Bubble» des neuen Markts – besonders rasch anstieg. 

Stipendien sollten deshalb möglichst dynamisch auf solche Umstände reagieren können. Zudem ist USA nicht gleich USA: Die Lebenshaltungskosten sind eben im Silicon Valley oder in New York sehr viel höher als in vielen anderen Teilen der USA. Das sollte auch berücksichtigt werden. Des Weiteren muss man wissen, dass Kinderbetreuung außerhalb von Deutschland meist teuer ist. Wir konnten uns das damals nur für wenige Stunden leisten. Stipendien sollten auf die familiäre Situation eingehen können. 

Aber unabhängig davon: Das Stipendium, das ich damals von der DFG erhielt, war absolut essenziell für meine Kariere und ich bin dafür überaus dankbar. Ohne meinen Aufenthalt in Stanford hätte ich niemals die Wissenschaft in unserer Arbeitsgruppe auf das Level heben können, das wir erreicht haben; und ohne das Stipendium hätte ich in der Wissenschaft auch nicht die Karriere machen können, die ich gemacht habe.

Foto von Prof. Patrick Cramer, Präsident der Max-Planckgesellschaft an einem Tisch sitzend.
© Christoph Mukherjee/Max-Planck-Gesellschaft

Patrick Cramer studierte Chemie an den Universitäten Stuttgart, Bristol und Heidelberg. Nach dem Diplom in Chemie 1995 an der Universität Heidelberg folgte 1998 die Promotion an der Universität Heidelberg/EMBL Grenoble (Frankreich). Im Anschluss war Cramer Postdoktorand im Labor von Roger Kornberg an der Stanford University (1999–2001), wo er die dreidimensionale Struktur der RNA-Polymerase II ermittelte, eines der größten Enzyme im Zellkern. Für «fundamentale Forschungen der molekularen Basis der eukaryotischen Transkription» erhielt Kronberg 2006 den Nobelpreis für Chemie. Von 2001 bis 2014 war Cramer Professor für Biochemie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit 2014 ist er wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Am 22. Juni 2023 übernahm er für den Zeitraum 2023–2029 das Amt des Präsidenten der MPG. Cramer ist unter anderem Mitglied der Leopoldina sowie der European Molecular Biology Organization (EMBO) und der US-amerikanischen National Academy of Sciences (NAS).

Angesichts der Vielzahl an Krisen, die die Welt derzeit erlebt, ist Wissenschaft aber auch eine friedensstiftende Aktivität.
Patrick Cramer

Sie haben sich dafür ausgesprochen, die Stimme der Wissenschaft hörbar in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Wie kann dies gelingen?

Im Grundgesetz wird uns die Wissenschaftsfreiheit gewährt. Das ist ein sehr hohes Gut. Für mich ist es eine Pflicht, diese Freiheit zu nutzen, und zwar auch, um die Chancen und Risiken von Forschung klar zu benennen und um die Stimme der Wissenschaft frei von politischen Zwängen in aktuelle gesellschaftliche Diskussionen hörbar einzubringen. Es gibt so viele Themen, zu denen wir Expertinnen und Experten in der Max-Planck-Gesellschaft haben und zu denen wir Stellung beziehen können. Denken Sie nur an die ethischen, rechtlichen und technologischen Implikationen der künstlichen Intelligenz, die Energiequellen der Zukunft oder die Migrationsbewegungen, die durch die Klimakrise ausgelöst werden, und die damit verbundenen Herausforderungen an das Völkerrecht. 

Ich spreche mit Medienvertretern, gebe Interviews. Angesichts der Vielzahl an Krisen, die die Welt derzeit erlebt, ist Wissenschaft aber auch eine friedensstiftende Aktivität. Sie kann Menschen mit unterschiedlichen ethnischen und kulturellen Hintergründen zusammenbringen. In der Max-Planck-Gesellschaft forschen Menschen aus 127 Ländern dieser Erde. Hierin liegt ein Potenzial, um Brücken zu schlagen, auch in schwierigen Zeiten. Insofern werden Sie immer wieder von uns hören und ich hoffe, dass wir an der einen oder anderen Stelle auch etwas bewegen können.

Die Max-Planck-Gesellschaft

betreibt Grundlagenforschung in den Natur-, Lebens- und Geisteswissenschaften, sie ging 1948 aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hervor und zählt 31 Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger. 

Je zur Hälfte finanziert von Bund und Ländern, verfügte die Max-Planck-Gesellschaft 2022 über eine Grundfinanzierung von rund 1,98 Mrd. Euro. Hinzu kommen Drittmittel für Projekte von öffentlichen oder privaten Geldgebern und der Europäischen Union sowie eigene Erlöse aus dem Technologietransferbereich. 

Die Max-Planck-Gesellschaft ist eine gemeinnützige Organisation des privaten Rechts in Form eines eingetragenen Vereins, zum Stichtag 31.12.2021 waren 23.950 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Gesellschaft tätig. Unter ihnen waren 20.898 vertraglich Beschäftigte, 519 Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie 2.533 Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler. Von den vertraglich Beschäftigten waren 6.745 Personen als Direktorinnen und Direktoren, Forschungsgruppenleiterinnen und -leiter oder wissenschaftliche Mitarbeitende tätig, weitere 3.473 als Promovierende. Zum nichtwissenschaftlichen Tätigkeitsbereich gehören 8.625 Personen in Technik und Verwaltung. 397 Mitarbeitende absolvierten zum Stichtag eine Ausbildung; weitere 1.500 Personen waren als studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte tätig.

Mit ihren 85 Instituten und Einrichtungen ist sie das internationale Aushängeschild für die deutsche Wissenschaft – neben 5 Auslandsinstituten betreibt sie 20 Max Planck Center mit Partnern wie der Universität Princeton, der Pariser Universität Sciences Po, dem University College London oder der Universität Tokio. 

Besonders eng kooperieren Max-Planck-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler mit deutschen Universitäten: 80 Prozent der habilitierten Max-Planck-Forscherinnen und -Forscher sind aktiv in die universitäre Lehre eingebunden. Im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen war die Max-Planck-Gesellschaft in den ersten 2 Wettbewerbsrunden an über 70 Prozent der erfolgreichen Anträge für Exzellenzcluster und an über 50 Prozent der erfolgreichen Anträge für Graduiertenschulen beteiligt. In fast jeden dritten Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sind Max-Planck-Institute eingebunden.

Um die erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Universitäten weiter zu intensivieren, hat die Max-Planck-Gesellschaft im Jahr 2005 das Programm der Max Planck Fellows eingerichtet. Damit erhalten Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer die Möglichkeit, 5 Jahre lang eine an einem Max-Planck-Institut angesiedelte Arbeitsgruppe zu leiten. Bislang wurden insgesamt 34 Arbeitsgruppen dieser Art eingerichtet.

Quellen:
https://www.mpg.de/11695540/profil-selbstverstaendnis
https://www.mpg.de/kurzportrait
https://www.mpg.de/zahlen-und-fakten
https://www.mpg.de/preise/nobelpreis [18.10.2023]

Die Fragen stellte Lutz Cleeves