Herr Professor Cramer, in Ihrer Antrittsrede als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft haben Sie den Wert weltweiter Verbindungen für die Wissenschaft hervorgehoben, auch weil Brücken entstehen, die die Zeitgeschichte überdauern. Inwiefern haben Ihre Erfahrungen als Erasmus-Stipendiat an der University of Bristol im Vereinigten Königreich diese Einschätzung mitgeprägt?
Professor Patrick Cramer: In sehr großem Umfang. Als ich 1992 in Bristol mit meinem Rucksack ankam, gab es Grenzkontrollen und Zoll. Als ich nach meiner Weihnachtspause im Januar 1993 in Deutschland wieder nach England zurückfuhr, war alles anders. Das Maastricht-Abkommen war am 1. Januar 1993 in Kraft getreten. Ich wurde damals von einem britischen Fernsehsender interviewt – die VHS-Kassette habe ich noch – und gefragt, wie die Situation in Europa sei, das heißt, man fühlte sich auf der Insel einfach nicht als Teil Europas.
Dann trat eine sehr positive Entwicklung ein, das Vereinigte Königreich war Teil der EU, vieles wurde einfacher. Dass es fast 3 Jahrzehnte später zum Brexit kam, hat mich sehr traurig gemacht, da ich mich seither den Menschen auf der Insel sehr verbunden fühle und auch jedes Jahr mindestens einmal dorthin fahre, um Kollegen zu besuchen und Vorträge zu halten.
Das macht Erasmus: Es eröffnet jungen Menschen eine neue Welt, ein Verständnis für andere Gesellschaften, Länder, Kulturen. Diese Erfahrungen begleiten einen das Leben lang. Sie bauen Vorurteile ab, erweitern den Horizont und bauen Brücken. Meine große Sorge ist, dass das, was erreicht wurde, innerhalb einer Generation gefährdet wird, wenn es weniger Austausch von Studierenden (und Schülerinnen und Schülern) gibt. Die Menschen, die auf der Welt Wissenschaft betreiben, müssen in Kontakt bleiben, auch wenn die Zeiten schwer sind. Denn wenn neue Zeiten anbrechen, dann stehen wir bereit als Brückenbauer.