«Wir müssen die Teilhabe junger Menschen fördern»

Ein Interview mit Thomas Krüger, Präsident der bpb
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Als jemand, der sich in der ehemaligen DDR gegen die Diktatur positionierte und aktiv für Demokratie eintrat, weiß Thomas Krüger um die Bedeutung von demokratischer Teilhabe und bürgerschaftlichem Engagement und was sie bewirken können. Wichtig sind dem langjährigen Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung vor allem junge Menschen. Dabei zeigt er sich im Interview unter anderem überzeugt, dass der internationale (Jugend-)Austausch Demokratiestärkung und politische Bildung «at its best» ist.

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)

Im Zentrum der Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung steht die Förderung des Bewusstseins für Demokratie und politische Partizipation. Das breit gefächerte Bildungsangebot der bpb soll Bürgerinnen und Bürger motivieren und befähigen, sich kritisch mit politischen und gesellschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen und aktiv am politischen Leben teilzunehmen. Aktuell engagieren sich dafür rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Hauptsitz der bpb in Bonn sowie an den Standorten Berlin und Gera. 

Website: www.bpb.de

Wie und auf welche Weise können junge Menschen an politischen Entscheidungsprozessen und Entwicklungen teilhaben?

Thomas Krüger: Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. In jedem Bundesland, in dem ab 16 auf Kommunalebene gewählt werden darf, sind junge Menschen ein relevanter Teil der Wahlbevölkerung und gestalten unsere demokratische Gesellschaft mit. Diese Erfahrung bereits im jungen Alter zu machen, ist äußerst wichtig, um zu erkennen, dass die eigene Stimme eine Bedeutung hat. Wer bei seiner ersten Wahl mitmacht, erlernt den demokratischen Prozess und wird auch später wahrscheinlicher sein Stimmrecht nutzen. 

Darüber hinaus gibt es im kommunalen Bereich vermehrt Angebote zu Partizipation, wie die mittlerweile über 500 kommunalen Kinder- und Jugendparlamente sowie knapp 300 Jugendforen zeigen. Aber junge Menschen gehen natürlich auch ihre eigenen Wege außerhalb der Institutionen, um am demokratischen Leben teilzunehmen, wenn sie Eigeninitiative zeigen und beispielsweise Demonstrationen organisieren. 

Und da ist natürlich noch der kleine, fast informelle Rahmen, sei es der Jugendvorstand im Musikverein, die Schülervertretung oder der Mannschaftsrat im Sportverein. Dies alles sind zentrale Lebensräume junger Menschen und somit verdientermaßen Orte des demokratischen Zusammenlebens, bei denen die Stimme der jungen Menschen Gehör findet und Teilhabe gelebt wird.

Porträtfoto von Thomas Krüger mit Mütze und Schal vor der Berliner Mauer
© Gordon Welters/laif/bpb

Thomas Krüger ist seit Juli 2000 Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Er sagt: «Die politische Kultur der Bürgerinnen und Bürger, bestehend aus den politischen Werten, Überzeugungen und daraus resultierend der politischen Unterstützung, ist maßgeblich für die weitere Zukunft der [Europäischen] Union verantwortlich. […] Die bereits geschwächte politische Unterstützung vonseiten der Bevölkerung hatte sich in Teilen der EU […] verstärkt. Das Fundament Europas wird zunehmend von Rissen durchzogen.»

Was braucht es, um im Bildungsumfeld diese Teilhabe zu fördern und weiterzuentwickeln?

Thomas Krüger: Eines der zentralen Anliegen der politischen Bildung ist es, die demokratische Teilhabe junger Menschen zu fördern. Politische Bildung ist dabei auch immer Allgemeinbildung. Denn wer sich in der Demokratie einbringen will, muss wissen, wie politische Prozesse ablaufen, wie man selbst dazu beitragen kann und welche relevanten Positionen es in wichtigen Themen gibt. 

Eine immer größere Rolle spielt dabei ebenfalls Medienkompetenz, die erlernt werden muss, um in einer vielschichtigen und komplizierten Welt verlässliche Quellen zu finden und Desinformationen erkennen zu können. Das ist voraussetzungsreich! Deswegen sollte politische Bildung verstärkt in Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen vorkommen.

Das lässt sich praktisch einüben bei Juniorwahlen, die das Erlernen und Erleben von Demokratie ermöglichen und weiter gefördert werden sollten. Eine gut konzipierte Vor- und Nachbereitung des Wahlprozesses ist dabei essenziell: Es stärkt die Fähigkeit, bei parteipolitischen Diskussionen gut aufgestellt zu sein und politische Vorgänge kennenzulernen und zu verstehen. Hier kann ich an alle Multiplikatoren der politischen Bildung nur appellieren, diese Angebote wahrzunehmen, da sie einen großen Beitrag zur politischen Sozialisation von Jugendlichen leisten können.

Wie können junge Menschen verstärkt für die gemeinsamen Werte der EU, ihre Grundsätze von Einheit und Vielfalt sowie ihr gesellschaftliches, kulturelles und historisches Erbe sensibilisiert werden?

Thomas Krüger: Begegnungsprojekte können per se ein besseres Verständnis, Empathie und Respekt für die europäischen Nachbarn und ihre Perspektiven fördern. Hierfür brauchen wir junge Menschen, die mitmachen, sich engagieren und nicht vor Konflikten zurückschrecken, denn diese Fähigkeiten und Erkenntnisse des Austauschs und der Begegnung werden vor dem Hintergrund des Erstarkens rechtsextremer und fremdenfeindlicher Kräfte immer wichtiger. Es liegt gerade auch an der jungen Generation unserer Länder, weiter auf Werte wie Toleranz, Respekt und gegenseitiges Verständnis zu bauen und ihre Vermittlung zu fördern.

Hierbei ist es essenziell, auf die gesellschaftlichen Erfolge des europäischen Miteinanders zu verweisen und die Frage zu stellen: Wie würde unser kulturelles, finanzielles und politisches Zusammenleben aussehen ohne die gemeinsamen Errungenschaften der Europäischen Union, wie der Freiheit überall zu studieren, leben und arbeiten zu können? Wenn an dieser Stelle die nötige Sensibilisierung erfolgt, können der Nebel des Anti-EU-Populismus durchblickt und positive Entwicklungen anerkannt werden. Gemeinsame Werte werden so nicht nur akzeptiert, sondern es wird für sie eingestanden und gekämpft.

Porträtfoto von Thomas Krüger mit Mütze und Hoody auf einer städtischen Straßenkreuzung mit Altbauten und Fahrradfahrern im Hintergrund
© Jordis Antonia Schlösser/OSTKREUZ/bpb

Die bpb unterstützt bundesweit Einrichtungen, Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und Vereine, die politische Bildung anbieten. Konkret sind dies rund 400 Organisationen, 5.500 Seminare und etwa 300.000 Teilnehmende jährlich

Für die Arbeit im Kontext der politischen Bildung können im bpb-Shop über 1.500 Bücher, Zeitschriften, Unterrichtsmaterialien und vieles mehr bestellt oder online heruntergeladen werden.

Welche Gefahren sehen Sie für ein geeintes Europa, wenn das Interesse und das Engagement nachlassen?

Thomas Krüger: Das geeinte Europa sichert die längste Friedenszeit auf der Landfläche der Europäischen Union. Jean-Claude Junckers Diktum: «Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen», zeigt die enorme Fallhöhe eines nicht geeinten Europas auf. Errungenschaften wie Frieden und Freiheit, die durch ein gemeinsames europäisches Handeln hart erarbeitet und gefestigt wurden, wären in Gefahr. Das betrifft auch viele Regelungen, die wir in unserem Alltag als ganz selbstverständlich annehmen wie grenzenloses Reisen innerhalb der EU durch das Schengener Abkommen, den gemeinsamen Binnenmarkt oder die gemeinsame Charta an Grundrechten. 

Kompromisse auf europäischer Ebene zu finden, ist oft schwierig, dafür sind die Errungenschaften aber dauerhaft und bilden eine langfristige Basis, von der alle profitieren. Das Beispiel des Vereinigten Königreichs zeigt eindrücklich, was passiert, wenn die europäische Gemeinschaft ins Wanken gerät. 

Welche Aufgaben kann ein Programm wie Erasmus+ spielen, um demokratische Teilhabe und bürgerschaftliches Engagement zu stärken?

Thomas Krüger: Ein internationaler (Jugend-)Austausch, wie ihn Erasmus+ beispielhaft ermöglicht, ist Demokratiestärkung und politische Bildung «at its best»! Hier lernt man den Perspektivwechsel, hier lernt man Kontroversen auszuhalten und zu bewältigen und man sieht, was möglich ist und wie man Ziele erreichen kann. Nichts hilft besser gegen Populisten mit vermeintlich einfachen Antworten auf komplizierte Frage als das eigene Erleben und die in der Begegnung entstehenden Empathie für den Anderen. Nirgends lernt man besser, was Ambiguitätstoleranz bedeutet und dass die Floskel «Reisen bildet» eben keine ist.

Wo gibt es aus Ihrer Sicht weiteren Handlungsbedarf, wo Entwicklungsmöglichkeiten?

Thomas Krüger: Eine wichtige Rolle kann hier auch digitale Bildung spielen. Durch die Coronapandemie haben wir gelernt, wie einfach ein Austausch per Videokonferenz sein kann. So lassen sich jederzeit Grenzen überwinden und internationale Begegnungen leichter und vor allem regelmäßiger umsetzen. Digitaler Austausch ermöglicht es uns, vor oder nach analogen Treffen nicht nur in Kontakt, sondern in einer produktiven Verbindung miteinander zu bleiben.

Dafür braucht es Mittler in der Bildung, die bereit sind, sich auf dieses Wagnis einzulassen. Es braucht Know-how und Ausbildung für alle, die da kommen werden; es braucht Übung und Fortbildung für alle, die schon da sind; und es braucht Leidenschaft für diese Form digitaler Bildung – von allen. 

Die Fragen stellten Lutz Cleeves und Marcus Klein.

Beispiele von Publikationen der bpb im Kontext von Jugend und demokratischer Teilhabe

Repräsentation – Identität – Beteiligung
Im Buch wird der Frage nachgegangen, wie Repräsentation und politische Beteiligung in einer sich verändernden pluralen, digitalen und demokratischen Gesellschaft gelingen können.
Best.-Nr.: 10871

Demokratie als Zumutung
Die einen erwarten von der Demokratie alles, die anderen nichts mehr. Felix Heidenreich sieht die Ursachen u. a. in der unreflektierten Ökonomisierung von Demokratie, die «liefern» müsse oder abgelehnt werde. 
Best.-Nr.: 10964

Jugend und Protest
Die jüngere Generation setzt sich inzwischen lautstark dafür ein, bei Entscheidungen, die sie und ihre Zukunft betreffen, gehört und einbezogen zu werden. 
Best.-Nr.: 72138

Autoren: Lutz Cleeves und Marcus Klein